Rahmenrohre

Benennung der Rahmenrohre

Der „klassische“ Rohrrahmen in Diamantbauform besteht aus folgenden elf Einzelrohren, die in der Grafik mit Kürzeln benannt sind:

Bezeichnung-Rahmenrohre_3_1LR    =    Lenkkopfrohr (auch Steuerrohr genannt)
OR    =    Oberrohr
UR    =    Unterrohr
SiR    =    Sitzrohr (auch Sattelrohr genannt)
SSt    =    Sitzstreben (auch Ober- bzw. Hintergabelstreben oder Sattelstreben
genannt)
KSt    =    Kettenstreben (auch Unterstreben bzw. Hintergabelrohre genannt)
GS    =    Gabelscheiden
Gc    =    Gabelschaft

Einige Sonderbauformen weichen von der klassischen Elf-Rohre-Bauweise ab: Moderne Rahmen mit tiefem Durchstieg (sogenannte Damenrahmen) verfügen über ein Zentralrohr mit überdimensioniertem Durchmesser (statt Ober- und Unterrohr). Auch Falt-/Zerlegeräder haben in der Regel eine eigenständige Rohrbauweise. Zur Erhöhung der Rahmensteifigkeit und/oder der -festigkeit können eventuell zusätzliche Rohre bzw. Rohrverstrebungen Verwendung finden.

Bei gefederten Rahmen sind die klassischen Bauformen weitgehend aufgehoben (siehe abb2-17aAbbildung): Sitz- und Kettenstreben vereinen sich zu einem neuen Bauteil – der Hinterradschwinge. Das Sitzrohr besteht bei vielen Fully-Rahmen nur noch aus einem Stummel, manchmal ist es im unteren Bereich zweigeteilt, ähnlich einer Gabel. Das Oberrohr ist häufig gebogen manchmal auch  zweigeteilt. Je nach Modell und Einsatzzweck gibt es eine große Vielfalt bei den Bauformen, Rohrprofilen und anderen Rahmendetails.

Bemaßung der Rohre

Im Fahrradbau werden häufig speziell für diesen Zweck gefertigte Rohre eingesetzt. Ein Unterscheidungsmerkmal zu handelsüblichen Rohren ist, dass sie nicht als Meterware, sondern als relativ kurze Stücke (ca. 70 cm Länge) produziert werden, das hängt u. a. mit der Formgebung und anderen Bearbeitungsdetails zusammen. Außerdem sind Fahrradrohre aus Gründen eines möglichst geringen Gewichts möglichst dünnwandig (geringe Wandstärke).

Rohr-Durchmesser-und-Wandstärke-ABB3_2Da = der Außendurchmesser eines runden Rohres
Di = der Innendurchmesser eines runden Rohres
W = die Wandstärke oder Rohrwanddicke

Es gibt sowohl zöllige als auch metrische Bemaßungen. Ein Zoll wird abgekürzt durch 1″ und beträgt 25,4 mm. Zöllige Standardmaße im klassischen Rahmenbau sind 1,  1 1/8, 1 ¼, 1 ½ Zoll. Durch die Oversize-Bauweise sind inzwischen viele Rohre mit metrischen Bemaßungen im Einsatz.

Gabelscheiden für Stahlrahmen hatten jahrzehntelang die ovalen Standardmaße 28/20 mm und 29/16 mm, Sitzstreben im oberen Bereich 14 mm beziehungsweise 16 mm Durchmesser. Seit den 1990er Jahren wird jedoch auch bei den klassischen Rahmenbauformen immer mehr von abweichenden Oversize-Bemaßungen Gebrauch gemacht.
Im modernen Rahmenbau werden häufig Rohre mit Sonderabmessungen eingesetzt. Standardabmessungen haben meist nur noch Rohre mit Passungsübergängen (Sitzrohr zu Sattelstütze, Gabelschaft/Lenkkopfrohr zu Lenkkopflager). Bei modernen Aluminiumrahmen ist beispielsweise das Lenkkopfrohr nicht mehr zylindrisch, sondern hat an beiden Enden eine Durchmesseraufweitung, um die integrierten Lager aufzunehmen. Unterrohr und Oberrohr sind insbesondere bei den Topmodellen von Mountainbikes und Rennrädern meist nicht mehr zylindrisch sondern mit verschiedenen Profilen (Tropfenform, doppelt oval, kantig usw.) versehen. Je nach Form und Dimensionierung lassen sich so größere Steifigkeit und Festigkeit in der Hauptbelastungsrichtung erzielen. Oft geht es dabei mehr um die optische Wirkung und weniger um den technischen Nutzen.
Bei konventionellen Gabelscheiden (keine Federgabel) und Sitzstreben variieren Durchmesser bzw. Formgebung je nach Fahrradtyp, Werkstoff und spezifischen Besonderheiten ganz erheblich. Gabelscheiden können rund oder oval sein. In der klassischen Bauweise sind sie im oberen Bereich oval, haben dann aber einen konischen Übergangsbereich und weisen am unteren Ende eine runde (korrekt: zylindrische) Form auf.
Gabelscheiden    D = ca. 13 mm Ø        D1 /D2 = 28/20 mm
Gabelscheiden    D = ca. 14 mm Ø        D1 /D2 = 30/21 mmGabelscheiden-Formgebung-ABB3_3
Die o. g. Maße gelten für die meisten klassischen Stahlrohrrahmen (außer MTB). Sie zeigen eine Standard-Gabelscheide im Ausgangszustand nach der Herstellung bevor sie zugeschnitten und ggf. gebogen wird.

Sitzstreben in der klassischen Ausführung sind häufig am oberen Ende rund (zylindrisch), haben dann einen konischen Übergangsbereich und enden an der Unterseite mit einem kleineren Durchmesser (siehe Abbildung).  Bei modernen Rahmen finden werden häufig ovale, tropfenförmige oder andere Profile verwendet.
Sitzstreben      D = ca. 11 mm Ø        D1 = 16 mm ØSitzstreben-Formgebung-ABB3_4
Sitzstreben      D = ca. 10 mm Ø        D1 = 14 mm Ø
Die  Abbildung zeigt eine Standard-Sitzstrebe. Die Maße sind typisch für klassische Stahlrohrrahmen (außer MTB).
Sitzstreben      D= ca. 16 mm Ø        D1 = 19 (Typisches Standard-Maß für Aluminium)

Die Wandstärken der Rahmenrohre sind je nach Rahmentyp, Bauform und geometrischen Gegebenheiten recht unterschiedlich. Bei Stahlrohren sind Wandstärken von ca. 0,5 – 1 mm üblich, bei Aluminium ca. 1,0 – 2,0 mm (Lenkkopfrohr bis zu 4 mm). Endverstärkte Stahl-Gabelschäfte (butted/endverstärkt) messen am oberen Ende üblicherweise 1,6 mm und am unteren Ende ca. 2 – 2,3 mm (in Ausnahmefällen bis zu 3 mm). Die Bemaßung von Aluminium-Gabelschäften variiert je nach Fahrrad-/Gabeltyp und fügetechnischen Besonderheiten des jeweiligen Herstellers erheblich. Die maximale Wandstärke im unteren Bereich liegt bei ca. 3 mm.

Hochwertige Rohre sind oft „butted“, also endverstärkt (siehe auch unter „Bearbeitungsmerkmale“). Das Verfahren, mit dem runde zu konischen Rohren bearbeitet werden, heißt „Reduzieren“, weil beim Herstellen ein Reduzieren des Durchmessers erfolgt.
Mit der Verbreitung des MTB wurden in der Rohrbemaßung neue Dimensionen eingeführt, die in der Folge auch auf andere Rahmentypen übertragen wurden. Zur Erhöhung der Rahmensteifigkeit und -festigkeit wurden die Rohrdurchmesser zum Teil drastisch erhöht („Oversize-Rohre“) und die Wandstärken reduziert. Bei Aluminiumrahmen werden manchmal Hauptrohre von ca. 60 mm und Gabelscheiden bis zu 35 mm Ø verwendet. Auch MTB’s aus Titan und in Stahlrohrbauweise verfügen häufig über stark vergrößerte Rohrdurchmesser. Bei Touring-, Trekking- und anderen Rahmentypen fällt das „Oversizing“ meist weniger drastisch aus.

Qualitätskategorien die Werkstoff und Rohre

Die jeweilige Legierung eines Werkstoffs (Stahl, Aluminium, Titan …) schafft die Voraussetzungen für die spezifischen mechanischen Eigenschaften. Mitentscheidend ist aber auch die Weiterbehandlung, z. B.: Kaltverfestigung durch das „Ziehen“ der Rohre oder Wärmebehandlung durch Vergüten.
Fast jeder Hersteller für Fahrrad-Rahmenrohre bietet unterschiedliche Qualitäts- und Preisstufen an. Ein wichtiges Qualitätskriterium des Rohrmaterials ist seine Zugfestigkeit. Nachfolgend eine kleine Übersicht:
–  unlegierter Baustahl (Hi Ten-Stahl)  –  ca. 350 – 500 N/mm2
–  Chrom-Molybdän-Stahl (CrMo)  –  ca. 700 – 950 N/mm2
–  hochfester Chrom-Molybdän-Stahl  –  ca. 1000 – 1400 N/mm2
–  Chrom-Nickel-Stahl (CrNi,“ Nirosta“)  –  ca. 1000 N/mm2
–  Einfache Aluminiumlegierungen  –  ca. 200 – 250 N/mm2
–  Hochwertige Alumiumlegierung  –  ca. 400 – 450 N/mm2
–  High-End-Aluminiumlegierung  –  ca. 550 N/mm2
Weitergehende Ausführungen über die verschiedenen Legierungen sowie die qualitativen Unterscheidungsmerkmale von Aluminium, Stahl, Titan und CFK können Sie im bei http://de.wikibooks.org/wiki/Werkstoffkunde_Metall bzw. www.maschinenbau-wissen.de/skript/werkstofftechnik/metall nachlesen.

Nachfolgend eine Auswahl bekannter Hersteller von Fahrradrahmenrohren:
–    Reynolds, Großbritannien
–    Tange, Japan
–    Columbus, Italien
–    Mannesmann, Deutschland
–    Dedacciai, Italien
–    Oria, Italien
Die meisten „Hersteller“ von Rahmenrohren stellen die Rohre nicht vollständig selbst her, sondern sind genau genommen „Rohrverarbeiter“, die angelieferte Rohre zu Fahrradrahmenrohren weiter bearbeiten.
Rahmenrohre werden von den Rahmenherstellern meist als komplette Rohrsätze bezogen. Üblicherweise sind die jeweiligen Rohrsätze mit Markennamen des Rohrherstellers und einer Typenbezeichnung versehen und erhalten einen eigens gestalteten Aufkleber. Diese gelten als Gütesiegel, z. B.:
–    Reynolds 531, 725 oder 853
–    Tange  CrMo oder Prestige
–    Columbus Foco, Thron, Aluthron oder Zonal

Die Vielfalt an Rohrsätzen und Bezeichnungen ist enorm. Einige Hersteller ändern die Bezeichnungen und ihr Sortiment in schneller Folge, sodass es für Handel und Verbraucher kaum möglich ist, einen umfassenden Überblick zu gewinnen.
Die Rohrqualität alleine macht jedoch noch keinen guten Rahmen.  Mindestens ebenso wichtig wie die Rohr-Qualität ist das Know-How des Herstellers und die Verarbeitungs-Sorgfalt. Bei Einzelanfertigungen kommt es auch noch auf das handwerkliche Geschick an.

Bearbeitungsmerkmale der Rahmenohre

Sowohl bei der Bearbeitung der Rohr-Rohlinge als auch bei der Detailbearbeitung beim Rahmenhersteller gibt es eine ganze Reihe von speziellen Vorgängen. Stahlrohre können entweder gezogen (im so genannten Kaltziehverfahren) oder geschweißt (aus gewalzten Blechen gerundet, verschweißt und außen übergeschliffen) sein. Geschweißte Rohre werden gemeinhin als minderwertig eingestuft. Was Stahlrohre angeht, war dies auch lange Zeit richtig. Doch inzwischen ist die Schweiß- und Werkstofftechnik so weit fortgeschritten, dass nur die extrem dünnwandigen auch „gezogene“ Rohre sein sollten.
Geschweißte Rohre sind ohnehin die Ausnahme bei den Qualitätsrohrsätzen von Fahrradrahmen und die Topmodelle sind durchweg (nahtlos) kaltgezogen.
Die Herstellung von Aluminiumrohren unterscheidet sich in einigen Arbeitsgängen grundsätzlich von der Stahlrohrherstellung. Die meisten Aluminium-Fahrradrohre werden im so genannten Strangpressverfahren hergestellt. Es gibt allerdings zunehmend Aluminiumrohre, die ebenfalls „nachgezogen“ sind.
Einige Rohre werden – für ihre spezielle fahrradbezogene Eignung – weiterbearbeitet, wobei die runden Ausgangsrohre eine gleich bleibende Wandstärke aufweisen. Ober-, Unter-, Sitzrohr und Gabelschaft der mittleren und oberen Qualitäten sind häufig mit Endverstärkungen versehen (sie sind „butted“), bzw. die Wandstärken sind abgestuft (siehe Abbildungen – einfach, zweifach und dreifach endverstärkt).
Einfach endverstärktes Rohr-ABB3_5

 

Genau genommen sind nicht die Enden verstärkt, sondern der Mittelteil des Rohres wird ausgedünnt. Endverstärkungen gibt es sowohl bei Stahl- als auch bei Aluminiumrohren. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Verstärkungsvarianten: Einfach oder zweifach endverstärkt, dreifach oder vierfach abgestuft usw.Doppel-endverstärktes-Ramenroh-ABB3_6

 

Wichtig ist, dass es  „weiche“ Übergänge von einer Wandstärke zur anderen gibt, damit ein günstiger Kraftfluss gewährleistet ist.dreifach-endverstärkt-butted-Rohr-ABB3_7
Die umgangssprachliche Bezeichnung „konifizierte“ Rohre für endverstärkte Rahmenhauptrohre ist falsch. Auch Rohre mit einem konischen Bereich (z. B. Sitzstreben) sind nicht „konifiziert“, sondern reduziert.

Durch die Endverstärkungen/Abstufungen können Problemzonen (z. B. Löt-/Schweißstellen) auf Grund größerer Wandstärken in den entsprechenden Bereichen “entschärft” werden. Ohnehin treten an den Rohrenden die größten Spannungen auf. Durch Endverstärkungen lassen sich geringe Wandstärken in den weniger belasteten Zonen realisieren, ohne dabei die Gefahr von Materialversagen einzugehen.
Gabelscheiden, Sitz- und Unterstreben haben meist am einen Ende einen größeren Durchmesser als am anderen, also eine Durchmesserreduzierung – wie bereits unter „Bemaßung“ detailliert beschreiben. Auch diese Formgebung wird mit entsprechenden Maschinen durch Kaltziehen erreicht, wobei durch die Reduzierung des Durchmessers eine Verdickung der Wandstärke entsteht. Mit einigem Aufwand lassen sich auch Streben und Scheiden mit gleich bleibender Wandstärke herstellen (erhebliche Gewichtseinsparung). Da dies kostenintensiv ist, wird es nur bei Toprohrsätzen angewandt.

Die gewünschten Eigenschaften eines Rahmens können durch die Profilgebung der Einzelrohre optimiert werden. Ein Beispiel: Bei einem Rahmen werden das runde Ober- und Unterrohr entsprechend oval geformt (queroval angeordnet), wodurch die Seitensteifigkeit deutlich erhöht wird!
Runde Rohre haben in allen Belastungsrichtungen die gleiche Steifigkeit. Rohre mit ovalen Profilen bieten je nach Belastungsrichtung unterschiedlich starke Verformungswiderstände. Neben runden, ovalen und rund/oval/rund kombinierten Profilen finden auch eckige Profile und mehrfach unterschiedlich profilierte Formgebungen (multishape) Anwendung. Ob eine bestimmte Profilierung tatsächlich eine technische Bewandtnis hat und eine Verbesserung darstellt, muss im jeweiligen Einzelfall geprüft werden. Häufig sind optische Effekte der Designer der wirkliche Grund.