Leichtbauaspekte der Fahrradtechnik

Fahrräder sind Leichtbaufahrzeuge, ein Hollandrad ebenso wie ein „Carbon-Bolide“. Beide werden nach Gesichtspunkten der Gewichtsoptimierung konstruiert, wobei beim „Carbon-Boliden“ natürlich wesentlich mehr Bauteile bis ans Gewichtslimit ausgereizt sind. Ein wesentlicher Aspekt des Leichtbaus ist es, herausragende Eigenschaften bestimmter Werkstoffe optimal einzusetzen und dabei möglichst wenig Material zu verwenden, um ein möglichst geringes Gewicht zu realisieren. Das für den jeweiligen Verwendungszweck am besten geeignete Material an den richtigen Stellen in Kombination mit Konstruktionen, die durch günstigere Lastverteilung eine geringere Dimensionierung bestimmter Teile ermöglichen ist ein weiterer wesentlicher Aspekt. Ein einfaches Beispiel für Leichtbau bei Rahmen und Gabel ist die Verwendung von dünnwandigen Rohren mit der für die Belastung optimalen Formgebung und Bemaßung. Der vielleicht prägendste Aspekt von Leichtbau sind die Sicherheitsreserven einer Konstruktion bzw. eines Bauteils.

Sicherheitsreserven
In verschiedenen Abschnitten dieser Ratgeberseiten wurde bereits auf Sicherheitsfragen eingegangen. Zusätzlich möchte ich noch ein paar Gedanken zum Thema „Sicherheitsreserven“ hinzufügen: Der Begriff Sicherheitsreserven bedeutet, dass man bei der Konstruktion ein mehrfaches der zu erwartenden Belastungen einrechnet, damit auch bei Qualitätsstreuungen und beim Überschreiten der vorgesehenen Belastungen noch ausreichend Sicherheit gegen Materialversagen gewährleistet ist. Bei motorisierten Fahrzeugen rechnet man  sicherheitsrelevante Bauteile üblicherweise mit Faktor Drei. Die Bauteilfestigkeit ist also auch dann noch gewährleistet, wenn eine Belastung vorliegt, die drei Mal größer ist, als vorgesehen. In der Fahrradtechnik ist der Sicherheitsfaktor geringer, denn Fahrradrahmen sind Leichtbaukonstruktionen, unabhängig von Bauform, Typ und Modell. Natürlich bestehen zwischen einem relativ schweren Tourenrahmen und einem federleichten Sportgerät graduelle Unterschiede (Leichtbau, extremer Leichtbau …). Bei den Sicherheitsreserven liegen sie jedoch relativ nah beieinander. Mit anderen Worten: In beiden Fällen ist die Gefahr des Materialversagens bestimmter Bauteile dann relativ groß, wenn das Fahrrad über die vorgesehene Belastung hinaus beansprucht wird.
Sowohl der Rahmen, vor allem aber die Gabel sind Bauteile mit Sicherheitsrelevanz. Stahl verfügt prinzipiell  über mehr Sicherheitsreserven als Aluminium. Die Dauerschwingfestigkeit ist deutlich höher, die Kerbwirkung wesentlich geringer, Bearbeitungsfehler bei der Herstellung oder unsachgemäßer Pflege müssen nicht zwangsläufig zur Bruchgefahr führen. Bei Aluminium und CFK ist bei vergleichbaren Bedingungen die Bruchgefahr größer. Aber auch bei Stahlrahmen können unsachgemäße Handhabung, Konstruktionsfehler und Verarbeitungsmängel zum Materialversagen führen. Es sind vielfältige Kriterien und eine kritische Einzelfallbetrachtung erforderlich, wenn es um die Bruchfestigkeit von Rahmen und Gabel geht.
Die Auseinandersetzung mit diesem Thema ist in der Branche äußerst unbeliebt und wird von den vielen Verantwortlichen häufig mit dem Argument „… die Praxis hat doch bewiesen, dass es hält …“ abgeschmettert. Dass die überwiegende Mehrzahl der Fahrradrahmen nur einer sehr geringen Nutzungsintensität unterliegt und eine solche Schlussfolgerung deshalb keine Aussagekraft hat, wird nicht beachtet. Es ist eine fahrlässige Vernachlässigung, wenn Fahrradhersteller keine eindeutigen Belastungsgrenzen für die jeweiligen Typen und Modelle angeben. Denn es macht einen enormen Unterschied, ob das Gesamtgewicht von Fahrer, Zuladung und Bike beispielsweise 60 oder 120 kg beträgt, ob 500 oder 5.000 Jahreskilometer zurückgelegt werden, ob die Straßenoberfläche überwiegend holprig oder glatt ist usw. Solange die Belastungsgrenzen nicht eindeutig definiert werden, ist für die relativ geringe Zahl der Fahrer mit hoher Nutzungsintensität eine überproportional hohe Gefahr des Materialversagens von Rahmen bzw. Gabel gegeben, denn die Hersteller legen in der Regel die Beanspruchungen von Durchschnittsnutzern zu Grunde.

Gesetzliche Bestimmungen und Sicherheitsaspekte
Anders als bei Kraftfahrzeugen gibt es bei Fahrrädern keine Allgemeine Betriebserlaubnis. Für Rahmen und Gabeln gibt es auch sonst keinerlei gesetzliche Vorschriften, was Sicherheitsstandards, Bemaßung, Belastungsgrenzen und ähnliche Sicherheitsaspekte betrifft. Lediglich einige Komponenten müssen Sicherheitsprüfungen erfüllen – beispielsweise die Beleuchtungsanlage.
Eine Orientierung für Sicherheitsfragen von Fahrradrahmen ist die DIN 79100 bzw. DIN 79100 Plus. Sie greift beispielsweise Fragen wie die Fußfreiheit oder die Mindesteinstecktiefe von Vorbau und Sattelstütze auf. Auch hinsichtlich der Festigkeitsprüfung von Rahmen findet man standardisierte Testverfahren. Jedoch ist die DIN eine freiwillige Norm ohne gesetzliche Verbindlichkeit.