Fahreigenschaften und Fahrstabilität beim Radfahren
Unter dem Begriff Fahreigenschaften versteht man alle statischen und dynamischen Faktoren, die auf das Fahren (einschließlich Lenken) Einfluß haben.
Auch wenn es auf den ersten Blick anders scheint, die grundlegenden Zusammenhänge für das Lenken und Fahren von Einspurfahrzeugen unterliegen komplexen physikalischen Gesetzmäßigkeiten. An dieser Stelle möchte ich einen Klassiker der Fahrzeug- und Zweiradkunde zitieren (Hans Trzebiatowsky, 1955):
„Gesetzt den Fall, es gäbe noch keine Motorräder, Roller oder Fahrräder und in unseren Tagen käme ein genialer Konstrukteur auf die Idee, ein einspuriges Straßenfahrzeug zu bauen. Selbst wenn es ihm gelänge, nach einem erheblichen theoretischen Aufwand rechnerisch nachzuweisen, dass ein derartiges Fahrzeug bei bestimmter Geschwindigkeit eigenstabil fährt, so würde es doch sicher einigen Mutes bedürfen, das Gefährt zu besteigen und Fahrversuche anzustellen. Wollte er aber dann begeistert dieses neuerdachte Fahrzeug als Verkehrsmittel verwenden, so würde ihm die Benutzung von öffentlichen Wegen mit ziemlicher Sicherheit von der Polizei verboten werden.“
Da sich aber aus dem Laufrad des Freiherrn v. Drais das Hochrad, aus dem Hochrad das Fahrrad und schließlich aus dem Fahrrad das Motorrad entwickelt hat, fährt heutzutage jedermann auf einem Einspurfahrzeug mit oder ohne Motor und sogar die Bären im Zirkus Busch können Motorrad fahren. Immerhin sollte man doch auch heute noch ab und zu darüber staunen, dass man auf einem solchen einspurigen Fahrzeug mühelos über die Landstraßen rollen kann, ohne umzukippen, solange nur die Räder am Boden haften.“
Im Vergleich zu anderen Technikdisziplinen sind wissenschaftliche Erkenntnisse für den Bereich Fahrstabilität von Einspurfahrzeugen (insbesondere muskelkraftbetriebene) eher rar und ungenügend. Ausprobieren und das Auswerten von Erfahrungswerten haben weitgehend die Entwicklung bestimmt. Dennoch bleibt die immer wiederkehrende Frage, warum ein Fahrrad fahren und gelenkt werden kann, ohne dabei umzufallen. Antworten auf diese Frage erhalten Sie in diesem Kapitel.
Grundlagen der Rahmengeometrie
Ausgangsüberlegung bei jeglicher Rahmenkonstruktion sind die Berührungspunkte zwischen Mensch und Maschine. Sie müssen so gestaltet sein, dass sie entweder für die Maße eines bestimmten Menschen „passen“ oder – besser – für unterschiedlich große Menschen die Voraussetzungen schaffen. Die Anordnung der Berührungspunkte – also die angestrebte Sitzposition – und die Vorgabe gewünschter Fahreigenschaften bestimmen das Konzept eines Rahmens. Wobei die Geometrie entscheidende Akzente für die Fahreigenschaften setzt: Es dürfte leicht nachvollziehbar sein, dass es hinsichtlich der Wendigkeit von wesentlichem Einfluss ist, ob beispielsweise der Radstand (siehe Kapitel „Technische Faktoren“) extrem kurz oder sehr lang ist.
Neben den technischen nehmen auch noch ergonomische und sicherheitsbedingte Aspekte Einfluss auf die Geometrie. Manchmal kolidieren die unterschiedlichen Aspekte miteinander, z.B. bei der Trittfreiheit (siehe Kapitel „Sicherheitsfaktoren“) von kleinen Rahmen, wenn aus technischen Gründen ein kurzer Abstand zwischen Tretlager und Vorderrad erforderlich wäre, aus Sicherheitsgründen dagegen ein längerer.
Die wichtigsten Faktoren der Rahmengeometrie und ihr Einfluss auf die Fahreigenschaften werden in den folgenden Kapiteln dargelegt:
- Ergonomische Faktoren der Rahmengeometrie >> (Rahmenhöhe, Rahmenlänge, Sitzrohrwinkel …)
- Sicherheitsfaktoren >> (Trittfreiheit, Schrittfreiheit …)
- Technische Faktoren der Rahmengeometrie >> (Lenkkopfwinkel, Tretlagerhöhe, Tretlagertiefgang, Vorderbaulänge, Hinterbaulänge, Durchlass, …)
- Auswirkungen der Rahmengeometrie auf die Fahreigenschaften >>