Physikalische Anforderungen an den Fahrradrahmen

Fahrräder sind Leichtbaufahrzeuge, ein Hollandrad ebenso wie ein „CFK-Flitzer“. Folglich sind auch die Fahrradrahmen Leichtbaukonstruktionen. Als solche sollten sie konstruiert, benutzt und gewartet werden.
Der Rahmen als Ganzes – wie auch viele seiner Einzelteile – wird beansprucht auf

  • Zug
  • Druck
  • Biegung
  • Torsion und
  • Schwingung

Korrosion
Eine weitere Art der Beanspruchung ist Korrosion. Sieist bei Stahl und Aluminium von Bedeutung, aber auch beim Aufeinandertreffen unterschiedlicher Metalle. Titan und CFK sind korrosionsbeständig und können „nackt“ ohne jeglichen Oberflächenschutz der Witterung ausgesetzt werden. Das gilt weitgehend auch für Chromnickelstähle.
Sonnenlicht hat auf die Eigenschaften der Rahmenwerkstoffe selbst keine Auswirkung, allerdings auf Lacke und Beschichtungen. Wenn diese nicht UV-beständig sind, verblassen die Farben nach einiger Zeit.
Bei der Beanspruchung auf Abrieb/Verschleiß sind Stahl und Titan im hohem Maße widerstandsfähig. Vor allem Aluminium ist diesbezüglich problematisch, zumal es auch noch äußerst kerbempfindlich ist. Bei CFK ist immer dann Vorsicht geboten, wenn durch Kratzer die Fasern beschädigt sind (versicherungstechnisch gelten solche Fälle als Totalschäden).

Kombinierte Beanspruchung
Jedes Einzelteil des Rahmens wird vielfältigen Beanspruchungen ausgesetzt. Wenn Bauteile/Verbindungsstellen mit Werkstoffen unterschiedlicher Eigenschaften oder ungünstige Beanspruchungen zusammentreffen, kann dies zu erheblichen Problemen führen.
Ein Beispiel: Ein Kabelstopper eines Aluminiumrahmens ist am Oberrohr festgenietet. Im Bereich der dafür erforderlichen Bohrung wirken Biegungs- und Torsionsmomente. Zusätzlich führt eindringende Feuchtigkeit zu Korrosion, wodurch die Kerbwirkung noch verstärkt wird. Der Bruch ist vorprogrammiert.

Genauigkeit/Maßhaltigkeit sind für das Funktionieren des Zusammenspiels von Rahmen plus Gabel plus Komponenten von großer Bedeutung. Maßhaltige Passungen erleichtern Montage und Justierung.

Kraftfluss
Ein wichtiger Aspekt bei Beanspruchung auf Biegung und Torsion ist der Kraftfluss: Kräfte und Momente müssen aufgenommen und weitergeleitet werden. So werden beispielsweise Kräfte durch die Vorderachse in die Ausfallenden eingeleitet und dann an den Übergängen zu den Gabelscheiden weitergeleitet (mit jedem cm der Gabelscheide wird der Hebelarm länger, das Biegemoment größer), um schließlich in den Gabelschaft eingeleitet zu wer-den. Durch die Lenkkopflager (Steuersatz) erfolgt die Übertragung in den Rahmen. Die jeweiligen Übergänge sind immer auch Problemzonen, vor allem die hochbeanspruchten Bereiche. Je fließender der Übergang, umso günstiger der Kraftfluss. Bei ungünstig gestalteten Übergängen kommt es zu erhöhter Spannung. 2 Beispiele für sanfte Übergänge mit günstigem Kraftfluss: 1) Der konische Übergang von einer Wandstärke zur anderen bei endverstärkten Rohren. 2)  Ausgeprägt lange Spitzen bei Muffen, Gabelköpfen etc.

Steifigkeit
Die spezifische Steifigkeit eines Werkstoffs (der Elastizitäts-Modul) und die Dimensionierung seiner Rohre, Muffen etc. bestimmen die Gesamtsteifigkeit eines Rahmens.
Manchmal geistert durch die Rennfahrer-Szene oder durch Radsportzeitschriften die These, dass ein Rahmen mit der Zeit seine Steifigkeit verliert, also „weich“ wird. Wissenschaftlich lässt sich dies jedoch nicht halten. Es gibt keinen spürbaren Steifigkeitsabfall im Laufe eines Rahmenlebens. Zuletzt wurde dies in einem Test der Zeitschrift „tour“ nachgewiesen (Heft 10/98). Während der gesamten Lebensdauer der Testrahmen ließen die Rahmen schleichend und nur um maximal 4 Prozent in der Steifigkeit nach. Erst wenn sich (Micro)Risse bilden, kann sich die Steifigkeit deutlich verringern – aber dann ist der Bruch auch schon sehr nah.
Die Torsions- und Seitensteifigkeit haben Einfluss auf das Fahrverhalten (z. B. Spurtreue beim Antritt). Die vertikale Steifigkeit – oder besser die vertikale Elastizität – des Rahmens hat einen, wenn auch geringen Einfluss auf die Federungseigenschaften, also auf den Fahrkomfort. Im Unterschied dazu kann eine entsprechend konzipierte Gabel einen deutlich größeren Einfluss haben.

Schwingungsverhalten
Der Fahrradrahmen ist elastisch und schwingt deshalb nach einem Stoß mit einer typischen Eigenfrequenz, z. B. 6 Schwingungen pro Sekunde (fo = 6 Hertz). Die Schwingung kommt aber schnell zur Ruhe, da die innere Reibung im Material stark dämpft. Im Fahrbetrieb werden dem Rahmen sowohl durch unregelmäßige als auch durch periodisch auftretende Kräfte fremde Schwingungen aufgenötigt. Diese erzwungenen Schwingungen machen sich am Lenkkopfrohr als Schwingungsausschläge (Amplituden) bemerkbar, die aber meist so klein sind, dass sie keinen spürbaren Einfluss auf das Fahrverhalten haben. Es kann aber der Fall eintreten, dass eine periodisch auftretende Anregungsfrequenz fo mit der Eigenfrequenz f des Rahmens (fast) übereinstimmt und den Energieverlust durch die Dämpfung gerade aufhebt (Resonanzschwingung). Dann können die Schwingungsausschläge des Lenkkopfes so groß werden, dass das Fahrrad nicht mehr kontrolliert werden kann (“Rahmenflattern“).
Das Beispiel einer Kinderschaukel mag dies verdeutlichen: Nur wenn immer im „richtigen“ Augenblick ein „Schwung“ hinzukommt, verstärkt sich das Schaukeln. Ein Schwungholen im „falschen“ Moment hat die gegenteilige Wirkung. Rahmen mit geringen Rohrdurchmessern und ganz besonders die so genannten „Damenrahmen“ haben ein starke Tendenz zum „Rahmenflattern“. Um dem entgegenzuwirken, ist eine Änderung der Eigenschwingung erforderlich. Für die Praxis bedeutet dies steifere Rahmen, Erhöhung der Seitensteifigkeit des Oberrohres (größerer Durchmesser oder/und Wandstärken).

Lebensdauer und Bruchfestigkeit

Ein Fahrradrahmen muss für die Beanspruchungen ausgelegt sein, die bei der vorgesehenen Verwendung auftreten können. Die jeweilige Konstruktion sollte hinsichtlich der Festigkeitswerte erhebliche Sicherheitsreserven aufweisen. Dabei sind zum einen die Dauerfestigkeit und zum anderen kurzfristige Höchstbelastungen zu berücksichtigen: Ein MTB-Rahmen beispielsweise muss selbstverständlich Sprünge über oder von Hindernissen schadlos überstehen. Ein Rennrahmen ist für solche Beanspruchungen nicht ausgelegt. Er würde dabei möglicherweise Schaden nehmen (plastische Verformung). Wenn die Beanspruchung zu sehr überzogen wird, kann es auch zum „Gewaltbruch“ kommen.

Auch Kleinbauteile des Rahmens sind teilweise hohen Beanspruchungen ausgesetzt. Sie können für die Funktion des Fahrrads und die Sicherheit ebenso wichtig sein, wie die Rohre, der Gabelkopf oder ähnliche Bauteile. Cantileversockel beispielsweise waren in den frühen 1990er Jahren echte Problemteile: Die zweiteiligen Stahlmodelle waren an der Verbindungsstelle manchmal nur umgebördelt statt zusätzlich verlötet, mithin war das Abknicken vorprogrammiert. Eine weitere Schwachstelle der Cantileversockel ist der Materialübergang von Ø 8 mm auf Ø 10 mm. Hier kommt es bei starker Beanspruchung teilweise zum Bruch. Längere Schrauben, die den Materialübergang um etwa 5 mm überlappen, führen zu einer deutlichen Verstärkung.

Auch Ausfallenden sind typische Beispiele für Materialermüdung am Fahrradrahmen, besonders dann, wenn sie nicht ausreichend dimensioniert sind und/oder nicht parallel zueinander stehen. Bei den üblichen Abmessungen und Verarbeitungsqualitäten, haben beispielsweise Ausfallenden, Cantileversockel, Gewindeösen, Gabelköpfe und ähnliche Bauteile aus Stahl deutlich höhere Sicherheitsreserven als jene aus Aluminium und Titan. Insbesondere Aluminium erfordert eine eigene (= materialgerechte) Konstruktion und Dimensionierung, um ähnliche Sicherheitsreserven zu erreichen.

Bei modernen Rahmen, wo große Rohrdimensionen Standard sind, ist Bruchfestigkeit (konstruktionsbedingt) nur noch selten ein Thema. Am ehesten dann, wenn bei der Verarbeitung unsachgemäß gearbeitet wird oder durch unsachgemäße Benutzung wie beispielsweise Oberflächenkratzer/-Kerben in hochbelasteten Rohrzonen. Im Hinblick auf die Sicherheitsreserven ist vor allem auf den Gabelschaft hinzuweisen, da dieser nicht bei jedem Rahmen beliebig dimensioniert werden kann. Außerdem ist der Gabelschaft das Rahmenrohr mit der höchsten Sicherheitsrelevanz: Für den Fall, dass es bricht, geht schlagartig die Fahrkontrolle verloren und ein Sturz ist nahezu unvermeidlich. Anfänglich haben Carbongabelhersteller, die auf „Nummer Sicher“ gehen wollten, deshalb Gabelschäfte aus Stahl verwendet, trotz des höheren Gewichts. Inzwischen sind konische Gabelschäfte aus Carbon mit deutlich verbessertem Kraftfluss und überzeugender Statik Standard schon bei Mittelklasse-Rennrädern. Bei Rahmen mit Oversize-Lenkkopfrohr sind Gabelschäfte möglich, die in den Hauptbelastungszonen ausreichend dimensioniert und hinsichtlich des Kraftfusses optimal gestaltet sind. Je nach Preisklasse und Konstruktionsdetails kommen dafür Schäfte aus Carbon oder Aluminium zum Einsatz.

Natürlich müssen Rahmen/Gabeln aus korrosionsanfälligen Werkstoffen angemessen und dauerhaft geschützt werden. Wenn der Oberflächenschutz (z. B. Lackierung) beschädigt wird, sollte umgehend eine fachgerechte Ausbesserung erfolgen. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr der Materialschwächung durch verschiedene Arten der Korrosion. Besonders tückisch sind Spalt- und Spannungsrisskorrosion, für die vor allem einige hochwertige Aluminiumlegierungen anfällig sind.