Digitale Fahrradtechnik

fahrrad-der-zukunftDas vernetzte Fahrrad

„Connected Bike“ ist das Zukunftsthema in der Fahrradbranche. Diebstahlschutz, Notruf-Service, Navigationssysteme mit Verkehrsüberwachung, Luftdrucküberwachung, Anzeige von Bremsbelagsverschleiß und Service-Intervallen,  auf Leistungscharakteristik konfigurierte Schaltwerke, stufenlos gesteuerte Beleuchtung, Überwachung und Abrechnung von Mietfahrrädern, touristische und sonstige Serviceangebote sind Beispiele für den Einsatz moderner Digital-Systeme rund ums Fahrrad. Fahrrad- und Zubehör-Hersteller wetteifern mit immer neuen Entwicklungen, um das Radfahren sicherer, erlebnisreicher oder unterhaltsamer zu machen. Erweiterte Anwendungen für Radcomputer und Apps fürs Handy sind derzeit der große Renner. Vieles von dem, was wir vom Auto kennen, wird auch aufs Fahrrad übertragen. Man kann davon ausgehen, dass dieser Trend in den nächsten Jahren eine Flut neuer Anwendungen und Optionen von Assistenz- und Überwachungssystemen sowie die Vernetzung einzelner Bauteile am Fahrrad bringen wird. Auch die derzeit noch mechanischen Basisfunktionen werden grundlegende Änderungen erfahren. So werden Schaltsysteme nicht nur elektronisch angesteuert, sondern auch individuell konfigurierbar (z. B. Schaltcharakteristik mit Datenauswertung).

Stand der Technikdigitale-fahrradtechnik
Radfahren ohne Elektronik bzw. digitale Technik ist heute kaum mehr denkbar: So hat beispielsweise die LED-Technik die Fahrradbeleuchtung revolutioniert und  die Funzeln des letzten Jahrtausends unwiderruflich abgelöst. Auch Zusatzfunktionen wie Standlicht sind kaum mehr wegzudenken. Allerdings gibt es bei Entwicklungen wie Lichtsensoren und automatische Licht-Steuerung  sowohl in der Fachwelt als auch bei Verbrauchern geteilte Meinungen. Dies trifft auch für elektronische Schaltungen zu. Diese bringen Vorteile bei der Schnelligkeit und Präzision von Gangwechseln. Ein nicht zu unterschätzender Nachteil ist, dass die Funktion komplett ausfallen kann, wenn beispielsweise die Batterie leer ist. Unumstritten ist der Nutzen von Zubehörgeräten wie Fahrradcomputer und GPS-Navigation. Bei den Assistenz- und Überwachungssystemen gibt es etliche interessante Funktionen, die für den individuellen Gebrauch hilfreich sein können. Allerdings handelt es sich meist um „isolierte Konzepte“ eines jeweiligen Herstellers bzw. Service-Anbieters. Das Installieren sowie die sinnvolle Kombination von Daten, die Auswertung und Anwendung wird für den Laien schnell zur Überforderung. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn er mehrere Servicefunktionen womöglich mit mehreren Anzeige-Geräten nutzen will und sich in jedes System einzeln reindenken muß. Komplizierte Sensoren und unterschiedliche Programme erfordern gewisse Grundkenntnisse und nicht zuletzt auch Zeit, um für den gewünschten Nutzen kompatibel zu sein.

Probleme mit der Hardware im Praxisbetrieb
Es gibt zwei herausragende Arten der Beanspruchung für Geräte mit digitaler Technik am Fahrrad, die Probleme hervorrufen können: Vibrationen und Feuchtigkeit. Bei keinem anderen Fahrzeug sind diese Aspekte so ausgeprägt wie beim Fahrrad. Bei derzeitigen Systemen wird häufig von Korrosion an Steckverbindungen und Eindringen von Feuchtigkeit in die Geräte bzw. deren Bedienelemente berichtet. Vibration ist vor allem bei Fahrrädern ohne Federung im Langzeitbetrieb abseits vom Asphalt ein Thema. Immer wieder wird berichtet,  das für mechanische Defekte in digitalen Geräten Vibrationen verantwortlich gemacht werden. Dies gilt insbesondere für Geräte, die nicht ausdrücklich für die Nutzung am Fahrrad konstruiert wurden. Bevor man sein Smartphone oder das Navi vom Auto am Fahrrad montiert, sollte man sich beim Hersteller und bei erfahrenen Nutzern (Tipp: Anfrage in einschlägigen Internet-Foren) darüber informieren, ob die Geräte unempfindlich gegen Vibrationen sind. Aber auch bei Geräten und Bauteilen, die speziell fürs Fahrrad entwickelt wurden, werden immer wieder Ausfälle bekannt, die durch Korrosion bzw. Vibrationen hervorgerufen werden. Das lässt sich recht anschaulich bei der Auswertung von Problemen und Defekten an E-Bikes nachvollziehen, die zum größten Teil im Zusammenhang mit der Elektronik stehen (siehe E-Bike-Praxis-Erfahrungen>>).
Derzeit kann man folgende Schlußfolgerung ziehen: Elektronische Zusatzgeräte die am Fahrrad genutzt werden, sind häufig nicht in der Weise geschützt, um im Langzeit-Dauereinsatz und bei schlechter Witterung sicher zu funktionieren. Bei intensiver Nutzung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Probleme oder Defekte auftreten.

Welchen Nutzen bringt die digitale Technik?das-vernetzte-fahrrad
Bei der Nutzung von  Trekkingbikes und Reiserädern sind vor allem die Standardfunktionen handelsüblicher Fahrrad-Computer und die GPS-Navigation von Bedeutung. Konventionelle Geräte sind häufig ausgereift und bieten bereits eine Vielzahl von Zusatzfunktionen. Die dafür erforderlichen zwei Anzeigegeräte sind beim Fahren gut überschaubar. Wenn man die Optionen für Diebstahlschutz nutzen will, kann man aus verschiedenen Apps fürs Smartphone auswählen.
Wer Funktionen seines Smartphones während der Fahrt nutzen will, kann es mittels einer speziellen Halterung am Lenker bzw. Vorbau anbringen und hat so die Anzeige im Blickfeld. Ob das Smartphone als Radcomputer eine geeignete Lösung ist, bleibt eine individuelle Entscheidung (siehe auch „Probleme im Praxisbetrieb“). Für digitale Laien ist diese Anwendung eher mit Vorbehalt zu genießen.
Bei E-Bikes gibt es bereits in der Grundausstattung einen Radcomputer für die System-Anzeige. Wenn man zusätzliche Funktionen und GPS-Navigation nutzen will, sollte man sich gut informieren, wie das sinnvoll (übersichtlich) zu realisieren ist. Insbesondere die Anzahl der Displays ist hier zu beachten. Mehr als zwei Anzeigegeräte dürften für die meisten Nutzer nicht praxistauglich sein. Ansonsten gilt im Prinzip das Gleiche wie für Trekkingbikes.
Viele, die mit Rennrad, Mountainbike oder anderen sportlichen Bikes unterwegs sind, wollen die Möglichkeiten der Leistungsüberwachung und technische Assistenzgeräte nutzen. Ambitionierte Radsportler wollen darüber hinaus eine Auswertung der Daten. Damit dass in der Praxis einfach zu handhaben ist, ist vor allem Kompatibilität der Software gefragt. Wer sich auskennt, hat vielfältige Nutzungsmöglichkeiten und kann aus dem großen Angebot der Radsport-Apps aus dem Vollen schöpfen.

Fazit
Für „digitale Laien“ gilt in vielen Fällen: Weniger ist Mehr! Beschränken Sie sich auf die für Sie wesentlichen Features.
Wer sich mit der Anwendung digitaler Technik auskennt, hat schier unerschöpfbare Möglichkeiten. Manche Anwendungen kosten allerdings richtig viel Zeit. Außerdem müssen viele Geräte absolut sicher vor Feuchtigkeit geschützt werden.
TIPP: Für Laien wie Experten sind die einschlägigen Fahrrad-Internet-Foren eine hilfreiche Info-Quelle. Man kann von den Erfahrungen anderer profitieren und auf konkrete eigene Fragen qualifizierte Antworten der Community-Experten erhalten.

Das „digitale Fahrrad“ der Zukunft

Ein echter, uneingeschränkter Nutzen der vielfältigen digitalen Features wird für die breite Masse der Radfahrer erst dann eintreten, wenn die Integration verschiedener Systeme erfolgt. Ein Display, eine Benutzeroberfläche, ein Gerät für alle wichtigen Funktionen wäre wohl die Ideallösung für die meisten Nutzer. Um diesem Ideal näher zu kommen, sind Lösungen, die über das eigene Smartphone angezeigt und gesteuert werden, ein naheliegender Ansatz für die kommenden Fahrradgenerationen.
Fahrrad- und Zubehörhersteller arbeiten bereits an (begrenzten) integrierten Lösungen. Konkret gibt es einige Fahrrad-Hersteller, die mit Anbietern digitaler Assistenzgeräte bzw. -Funktionen kooperieren. Man kann davon ausgehen, dass es schon bald Fahrräder geben wird, wo zumindest die am häufigsten nachgefragten Features integriert werden.
Auch was die Funktionsgewährleistung durch die spezifischen Gegebenheiten am Fahrrad (insbesondere Vibrationen und Feuchtigkeit) angeht, ist noch Einiges zu tun. Da einige Hersteller/Anbieter Quereinsteiger in der Fahrradbranche sind, müssen sie die spezifischen Anforderungen am Fahrrad erst kennen lernen, um dann Schwachstellen bei neuen Gerätegenerationen zu beheben. Dafür gab es in der Vergangenheit bereits etliche Beispiele (z. B. im Beleuchtungsbereich und bei E-Bike-Systemen).

Die totale Digitale-Integration wird es absehbar sicher nicht geben. Dafür wird schon die Konkurrenz zwischen den Herstellern sorgen, da sie sich voneinander unterscheiden wollen. Wahrscheinlicher ist es, dass es diverse teilintegrierte Systeme geben wird, um auf bestimmte Zielgruppen zu fokussieren. Digitale Service- und Informations-Funktionen werden dann zu den Ausstattungsmerkmalen von Fahrradmodellen gehören und als Kaufkriterium Bedeutung bekommen. Sportliche Bikes, Elektrofahrräder und Lifestyle-Modelle werden Vorreiter für neue Lösungen sein. Je nach dem, wie sich die Verbrauchernachfrage gestaltet, werden sich einige Systeme herauskristallisieren, durchsetzen und auf andere Fahrradtypen übergehen.

Ob das konventionelle Fahrrad mit mechanischer Schaltung ohne digitale Steuerungstechnik in absehbarer Zeit nur noch ein Nischendasein fristen wird, dürfte vor allem von der Nachfrage abhängen. Gut möglich, dass einige Bauarten angeboten werden, bei denen die konventionelle Technik weiterhin gefragt bleibt und manche Modelle wahlweise mit oder ohne Elektronik angeboten werden. Der Drang nach ständiger Innovation wird allerdings zumindest teilweise mechanische Bauteile durch elektronische ersetzen bzw. ergänzen.

Seit der Erfindung des Fahrrades galt ein unumstösslicher Grundsatz: Fahrradtechnik muß einfach und transparent sein –  sowohl für die Nutzung als auch hinsichtlich Wartung und Reparatur. Entwicklungen, die das ignorierten, waren schnell wieder vom Markt verschwunden. Dieses „Gesetz“ hat bereits an Gültigkeit verloren und wird wohl bald Geschichte sein. Für die Wartung und Reparatur etlicher (auch mechanischer) Bauteile am Rad sind bereits jetzt qualifiziertes Fachwissen und aufwändige Spezialwerkzeuge erforderlich. Zunehmend mehr Bauteile können nicht mal mehr von versierten Mechanikern reparariert/gewartet werden, sondern nur noch beim Hersteller. Dem allgemeinen Trend folgend werden auch am Fahrrad immer mehr Komponenten bei Störungen bzw. Fehlfunktionen einfach ausgetauscht. Die kommende digitale Aufrüstung wird diesen Trend  verstärken. Davon kann man ableiten, dass die Entwicklung nicht nur die Fahrräder grundlegend verändern wird, sondern die gesamte Branche.

Vielleicht führt die Entwicklung zum total vernetzten „Google-Bike“ mit der umfassenden Integration von Kommunikations- und Service-Angeboten. Eine Utopie ist diese Überlegung sicherlich nicht. Shimano, Campa, Sram & Co.  würden dann wahrscheinlich nur noch ein Dasein als untergeordnete Zulieferer fristen und Fahrradmarken heutigen Zuschnitts werden wohl ganz verschwinden.